Bild: Benjamin Boehm
Axel von Criegern
Lost-Sketches.de
Me and Jan Steen
Wie sahen Steens Zeichnungen aus? (Hat er überhaupt in unserem Sinn gezeichnet?) Hatte er einen Stil? Welchen? Mit welchen Mitteln zeichnete er? Auf was? Was zeichnete er? Ich arbeite mich experimentierend heran. Das Papier ist weißes, leicht gekörntes Zeichenpapier und als Stift nehme ich eine van Dijk- braune Aquarell-Kreide (Jaxon). Die Kreide verlockt zu Formlinien, d.h. man fühlt sich in Gegenstände und Figuren ein, man tastet sie in der Vorstellung ab. Das Motiv ist reine Phantasie. Verbindungen zu Steens Bildwelt sind das Erzählerische, die Freude am Kombinieren von Figuren , Dingen und Räumen zu Szenen. So sind wir bereit dem Nebeneinander von Gerümpel und dem etwas hölzernen Herrn vor der jungen Dame einen Sinn zu geben.
Um sich überlegen und locker dem Entwickeln von Bilderzählungen zu widmen, sollte man das Handwerk von Grund auf lernen. Noch vor der menschlichen Gestalt galt es alltägliche Gegenstände, Stoffe, Felle, aus Metall, Ton, Holz, Glas aber auch Lebensmittel möglichst wirklichkeitsnah zu zeichnen. Nach seinen Bildern zu urteilen, fiel das Steen nicht allzu schwer. Hier gab es bei den Leidener Feinmalern wie Gerrit Dou und Gabriel Metsu genügend Anregungen und Konkurrenz. Birne und Brot habe ich hier durchgehend mit Farbstiften gezeichnet. Die Beleuchtung entsteht durch die sich verändernde Dichte der Strichlagen und leichtes lavieren (waschen) mit Wasser.
Kunst kommt von Kunst
Kunst kommt von Kunst
Wichtig ist es sich klar zu machen, daß Kunst immer auf vorhergehende Kunst aufbaut. Ob bewußt oder nicht spielt dabei keine Rolle. Quiiringh Gerritsz. Brekelenkam lebte von 1620-1668 in Leiden. Er war also Steen wohlbekannt. Warum sollte Steen nicht an Brekelenkams Bildern das aktuelle Kunstkönnen studiert haben? Worum ging es überhaupt? Es ging um die perspektivische Raumdarstellung, die seit ihrer Perfektionierung vor 100 Jahren zum Künstleralltag gehörte. Dazu gehörten auch die Darstellung von Figuren und ihren Aktivitäten. Eine besondere künstlerische Herausforderung war seit 1600 die besondere Ausleuchtung von Szenen. Die von Michelangelo Caravaggio entwickelte dramatische Lichtentwicklung („Kellerlicht“). wurde von Rembrandt meisterhaft eingesetzt. Zwar wurde das viel bewundert, entsprach aber nicht Steens Vorstellungen vom Bild als theatralischem Raum, in dem sich meistens komische, groteske Situationen abspielten. Diese Lust am Komischen machte sich nicht nur an Charakteren und Typen fest, sondern auch an ihren speziellen Aktivitäten. Die Komik entstand durch die durchaus alltägliche Umgebung. Sie erlaubte dem Betrachter einen leichten Zugang und eine gesteigerte Belustigung durch das Wiederkennen.
Eine Zeichnung wächst
Das Gegenteil des Abzeichnens oder beobachtenden Zeichnens ist die freie Zeichnung. Gestern Abend habe ich zum Abspannen eine Zeichnung gemacht. Während ich an Steen dachte entstand ein feines Gespinst von Linien. Mich interessiert das Ab-und Anschwellen der dunkleren Partien. An einer bestimmten Stelle gab es einen „Klick“ und Umrisse von Figuren und Gegenständen waren zu ahnen. Die Frage ist wie man diesen Ahnungen nachgibt. Helldunkel war keine Spezialität Steens. Das war Domäne der Rembrandtschule. Aber auch Steen hat einige Nachtbilder gemalt.
Durch-und Ausblicke
Bei den geringen Entfernungen zwischen den Städten der Niederlande ist es nicht verwunderlich, dass Jan Steen eine kurze Zeit auch in Delft aktiv war. Auch hier versuchte er sich als Bierbrauer und Gastwirt. Und auch hier klappte es nicht. Was aber für die Kunstgeschichte letztlich wichtiger war, sind die Einflüsse von Jan Vermeer, Pieter de Hoch u.a. Man könnte meinen, daß in Delft das Licht heller und brillanter war und die Künstler dieser Helligkeit besondere Aufmerksamkeit schenkten. Hier wurde auch ein besonderes Gespür für Entfernungen und Durchblicke in den Kompositionen (Pieter de Hoch!) wichtig. Das schlug sich in Steens Genrebildern nieder. Durchblicke in anschließende Räume, Gänge, Ecken und Winkel erlauben auch ohne Eigenbewegung der Figuren den Eindruck von Lebendigkeit und Interaktion. Beim Zeichnen eines Ausblicks auf die Strasse von meinem Arbeitszimmer aus, habe ich mich wenigstens um den Anschein des Historischen bemüht.
Zwischen-Gedanken
Merke: Wenn jemand sagt „Sorry, ich kann nicht zeichnen“, haben alle Verständnis. Wenn jemand sagt: „Ich kann weder lesen, noch schreiben“ schreckt man ungläubig zurück.
Was man dem Freund und Kollegen alles zutraut…
Selbst wenn Steen keine autonomen Zeichnungen hinterlassen hat, schließt das vorbereitende Detail- Skizzen nicht aus.
Offensichtlich lief bei Steen nichts ohne den Familienhund. Bei „Hund und Katz“ ging allerdings die Fabulierlust mit ihm durch. So etwas sehen wir heute auf Instagram.
EROS
„Mit einem Fuß im Wirtshaus, mit dem anderen im Bordell“ Dieses Sprichwort aus Steens Zeit trifft den entspannten Umgang der Geschlechter recht gut.
Abb. Axel von Criegern, Entwurf zu einem (unveröffentlichten) Comic. 17 Seiten in Axel von Criegern :Dramaturgie eines Bildes, Tübingen, Giessen 2004
Auch hier tun wir gut daran uns Zeichnungen unterschiedlichster Art vorzustellen.Ich kenne kein Bild Steens, das „wortwörtlich“ auf die Verwendung einer Zeichnung verweist.
Lasziv im Sessel hängende Frauen wie auf dem Dreikönigsfest in Kassel basieren mit Sicherheit auf durch Zeichnen erworbener Sicherheit. Was man nicht ohne weiteres sieht, sind prägende Motive aus Emblemen, Tugend-oder Lasterdarstellungen
“Voluptas“
„Amor Docet Musicam“ (Die Liebe lehrt das Musizieren“)Hinter dem Amor auf Rollenhagens Emblem sitzt ein Liebespaar im Grünen.
(Selbst-)Orientierung
Diese Homepage entsteht als Work in Progess. Von null ausgehend versuche ich mein Material unterzubringen. Das Material ist ein Album von in altem Stil geschaffenen Zeichnungen, die ich dem mir sehr vertrauten Jan Steen (1626-1679) unterschiebe. Mir war zuvor nicht bewusst, dass Jan Steen keine authentischen Zeichnungen hinterlassen hat. Also habe ich gefälscht. Ich ziehe seine Gemälde, seine Arbeitsweise und Quellen heran. Seit ich 1966 mit einer Dissertation über seine Fröhlichen Gesellschaften begann, habe ich mich ihm auch als Künstler genähert. Diese Herangehensweisen habe ich als eine neue Form und Metode der Kunstgeschichte verstanden. Sozusagen die Kunstgeschichte über unsere Kreativität zu entwickeln und so aktiv zu kommunizieren. Da ich die ganzeZeit auch als Kunstpädagoge tätig war, wurde Jan Steen nicht nur zum wissenschaftlichen und künstlerischen, sondern auch zum kunstdidaktischen Partner.
„On Stage“
Um seinen Alltagsmenschen oder biblischen Figuren einen stark übertriebenen Charakter zu geben, griff Steen auf ältere Bilder mit „burgundisch-spanischer“ Kleidung zurück. HEUTE SAGT MAN AUF DEN „KOSTÜM-FUNDUS“.
Mich traf Steens dramatische Leidenschaft voll. Jede Form des Weiterdenkens endete bei theatralisch animierten Bildern oder Inszenierungen. Als ich die Gelegenehit bekam 1999 die Kunsthalle Tübingen mit den Untersuchungen zum „Wie die Alten sungen, so pfeifen auch die Jungen“(Mauritshuis Den Haag ) zu beleben, habe ich alle Personen des Bildes fast lebensgroß gebaut und auf fahrbare Platten montiert. Die Besucher waren aufgefordert die Szene aufzulösen und neu zu komponieren. Am weitesten bin ich bei der "Abfahrt vom Wirtshaus" (Staatsgalerie Stuttgart) gegangen. Hier entwickelte sich früh die Idee das Stück zu spielen. Ich landete bei Figuren aus Zinkblech, die in einer Version zu Stockpuppen führte, die sich an schwarzen Stöcken befestigt vor dem schwarzen Hintergrund eines Puppentheaters bewegten. Für diese Aufführungen hatte ich ein Stück geschrieben, das seine Dramatik aus dem "Narrenschiff" des Spätmittelalters und den Kardnaltugenden und Lstern entwickelte. So richtig Volumen gewann dieses Stück durch eine Rahmenhandlung, in der Laienschauspieler ,sogen. "Rederijker"das Wirtshaus auf dem Lande als Vereinslokal und Probebühne nutzten Ein grosses Geschenk waren Improvisationen des Giessener Jazz-Saxofonisten und hessischen Landes-Jazzpreisträgers Ekkehart Jost . Eine zweite Version wurde mit wesentlich größerem Aufwand entwickelt. Jetzt waren die Figuren in Aluminiumblech geschnitten und wurden von den Spielern in dunkler Kleidung in einem dunklen Bühnenraum getragen. Text und Musik wurden vorher aufgespielt, so dass alle Konzentration dem Stück gelten konnte. Nach einer Ausstellung in der Kunsthalle Giessen, wanderte die Ausstellung in die Kulturhalle Tübingen. Hier kam es zu einer leider nur einzigen sensationellen Aufführung durch Elke Pfeiffers Tanztheater „Treibholz“ anlässlich der Finissage. Später entwickelte Pfeiffers Truppe daraus "Die sieben Todsünden",
Steen träumt von einer erfolgreichen Bar, die er auf dem „Ballermann“ in „Malle“ eröffnen würde!!!
Dialog
Bildintelligenz durch Dialog
Viele der hier erprobten Verfahren erfordern Kompetenzen, die ich zusammengefasst „Bildintelligenz“ nenne. Sie haben Dialoge als Start-Situation. Das machen die abschließend vorgestellten Beispiele deutlich. Mit einem dicken Zeichenstift zeichne ich auswendig Figurengruppen aus Steens Figuren-Repertoire.Diesen historischen Zitaten stelle ich in Form von Collagen erkennbar aktuelle Bildmittel gegenüber. Sie richten sich nicht nach den vermuteten Inhalten Steens, sondern ausschließlich nach bildgebenden Kriterien. Das sind hier Raster, fremde Fotoausschnitte, dunkle Flächen als Hintergrund oder Silhouetten.Im Dialog entstehen neue Bilder, Formen und Inhalte.Ihre Qualität entwickeln sie aus Einfühlung in die historische Kunst und der Konfrontation mit zeitgemäßen Bildformen und künstlerischen Techniken. In gewisser Weise sind das meine eigenen „lost sketches“ .